Was ist Ursache, was die Folge?
Die Vermutung, dass Menschen durch chronische oder schwere Krankheiten depressiv werden, ist naheliegend. Eine körperliche Beeinträchtigung ist eine Beeinträchtigung der Lebensqualität und die damit verbundenen Gedanken sind keine glücklichen, sondern können depressiv machen. Es häufen sich aber die Erkenntnisse, dass viele Depressionen aufgrund von Stoffwechselprozessen in direkter Folge von Entzündungsgeschehen entstehen.
Immunreaktionen finden auch im Gehirn statt
Das Ziel von Entzündungsprozessen ist die Wiederherstellung der Homöostase, Entzündungen dienen also dem Heilungsprozess. Problematisch werden Entzündungsreaktionen, wenn sie nicht akut, sondern chronisch sind, weil sie das Immunsystem dauerhaft im Alarmzustand halten.
Botenstoffe in diesem Prozess sind Zytokine, von denen es pro- und anti-entzündliche gibt. Zytokine sind Proteine, die Entzündungen im gesamten Körper hervorrufen und auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden.
Von Tieren ist aus Studien bekannt, dass nicht der Erreger die Entzündungsreaktion auslöst, sondern die vom Immunsystem gesteuerten Zytokine, die zu einem depressions-ähnlichen Verhalten führen.
Weshalb die von Entzündung ausgelöste Depression auch evolutionsgeschichtlich Sinn machen kann
Krankheitserreger stellten in der Frühzeit unserer Geschichte eine erhebliche Gefahr dar. Zu vermuten ist, dass es durch eine schnelle und massive Entzündungsreaktion einen Überlebensvorteil gegeben hat. Die aggressive Reaktion mit Entzündungszytokinen führte vmtl. in vielen Fällen zu einer größeren Chance auf Heilung. Einen Vorteil innerhalb der Population boten demnach zufällig mutierte Gene in Richtung Entzündungsförderung wie sie heute noch bei vielen Menschen bei IL-6 und TNF-alpha zu sehen sind. Was heute mit dem Begriff Hyperinflammation verbunden wird, muss evolutionär einen Vorteil geboten haben.
Depression ist mit Rückzug und Isolation vom sozialen Umfeld verbunden. Wenn Entzündungen als Reaktion auf Viren mit Depression verbunden sind, erhöhte das zwar das Risiko des Einzelnen, könnte aber für den Stamm das Überleben gesichert haben. Evolutionärer Sinn könnte also der Schutz des Stammes vor Ansteckung gewesen sein. Der Genpool konnte somit besser überleben.
Trennung von Körper und Geist nach Descartes
In der Medizin gilt weitgehend noch die cartesianische Sicht der Dinge, wonach Körper und Geist zwei voneinander getrennte und voneinander unabhängige Einheiten sind. Entsprechend wird Depression ausschließlich als eine psychische Reaktion auf belastende Faktoren gesehen. Der Mensch denkt über seine Situation nach und wird deswegen traurig.
Bei Depression werden daher SSRI verordnet, davon ausgehend, dass damit ein Serotonin-Mangel verbunden ist, der somit als Ursache der Störung identifiziert wird. SSRI helfen aber bei Weitem nicht jedem Patienten. Stattdessen sind sie mit einer Reihe von Risiken verbunden.
Hohe Entzündungswerte bei depressiven Menschen
Die Entdeckung, dass hohe Zytokinwerte zu rheumatoider Arthritis führen, war ein erster Durchbruch. Bei depressiven Patienten mit rheumatoider Arthritis, die mit Anti-Zytokin-Wirkstoffen behandelt wurden, lösten diese Medikamente eine Hochstimmung aus. Dass sich die Patienten nach der Behandlung gut fühlten, lag an der entzündungshemmenden Wirkung auf das Gehirn.
Erhöhte CRP-Werte (Entzündungsmarker) wurden in mehreren Studien auch bei Menschen mit milden depressiven Symptomen nachgewiesen. Damit ist zwar nicht bewiesen, dass Depressionen generell auf Entzündungen folgen, statistisch ist es aber auffällig.
Neuroinflammation, die stille Entzündung im Gehirn
Durch Stressoren wie Viren, Traumata, sozialer Stress, Fettleibigkeit und entzündliche Erkrankungen ausgelöst, zirkulieren Entzündungszytokine im Blutkreislauf des gesamten Körpers. Diese kommen durch die das Gehirn schützende Blut-Hirn-Schranke (BBB) ebenso wie Proteine zur Versorgung des Gehirns.
Die Endothelzellen der BBB leiten diese Signale an das Gehirn weiter. Die Folge ist die Aktivierung der Immunzellen im Gehirn, der Mikroglia. Diese den Makrophagen des Körpers vergleichbaren Immunzellen neigen zu überschießenden Reaktionen. Sie stellen im Gehirn zunächst den gleichen Entzündungsstatus her wie im übrigen Körper, können diesen aber auch um ein Vielfaches verstärken, um sensible Gehirnbereiche zu schützen. Dabei kommt es zu massiven Kollateralschäden wie dem Absterben von Neuronen (Nervenzellen), der Kappung synaptischer Verbindungen und einer Blockade der Regeneration.
Verloren geht dabei auch die Neuroplastizität, d.h. die Anpassung der Verbindungen zwischen den Nervenzellen aufgrund von Lernprozessen und Erfahrungen. Ihr Verlust stellt die Verbindung her zwischen Entzündungen und kognitiven Störungen ebenso wie mit depressivem Verhalten.
Eine wichtige Rolle spielt der Vagusnerv als Teil des Parasympathikus, der, sofern er neben dem Sympathikus ausgleichend und beruhigend wirken kann und seine beruhigenden Impulse über die BBB hinweg an das Gehirn geben kann.
Neuroinflammation und die Folgen für den Serotonin-Stoffwechsel
Serotonin wird zwar in großen Mengen im Darm hergestellt, das dort hergestellte erreicht aber nicht das Gehirn. Dort muss es selbst aus der Aminosäure Tryptophan gebaut werden, wobei bereits Tryptophan durch die konkurrierenden Aminosäuren das Gehirn nicht leicht erreicht.
Im Gehirn kann sich bei entzündlichen Prozessen der Stoffwechselweg verändern. Durch die Aktivität der Mikroglia veranlasst, entstehen daraus zusätzliche entzündungsfördernde Metaboliten (Stoffwechselprodukte) wie Kynurenin. Damit steht weniger Serotonin zur Verfügung, z.B. um Melatonin zu bilden, und der Entzündungsmechanismus verstärkt sich und führt zum Absterben von Neuronen. Eine Tryptophangabe führt zur weiteren Eskalation. Die Metaboliten des biovis-Labortests Tryptophan Metabolismus plus bieten konkrete Erkenntnisse über die Situation im Gehirnstoffwechsel.
Behandelt werden Depressionen klassisch mit SSRI, um das weniger gewordene Serotonin länger im synaptischen Spalt zu halten und damit eine längere Wirkung zu erzielen. Es scheint aber nur bei einem Teil der Patienten Wirkung zu erzielen, bei diesen teilweise mit erheblichen Nebenwirkungen.
Die Verbindung zu Alzheimer-Erkrankungen
Auffallend ist, dass Patienten, die entzündungshemmende Medikamente einnehmen, seltener an Alzheimer erkranken.
Umgekehrt fällt auf, dass Entzündungsprozesse im Körper das Risiko erhöhen, an Alzheimer zu erkranken oder dessen Verlauf beschleunigen.
Stressoren, die Entzündungen auslösen
Fettleibigkeit ist ein besonderer Risikofaktor, insbesondere das viszerale Bauchfett. Menschen mit erhöhtem Body-Mass-Index haben i.d.R. höhere CRP- und Zyokinwerte als schlanke Menschen. Aber auch bei schlanken Menschen kann Bauchfett zu Entzündungszytokinen führen. Bei übergewichtigen Menschen sind auch Depressionen stärker verbreitet als bei normalgewichtigen.
Auch der Alterungsprozess ist durch die zunehmende Schwäche des Immunsystems eine Quelle für Entzündungsprozesse ebenso wie für depressive Phasen.
Sozialer Stress ist nach den Erkenntnissen der Neuroimmunologie in besonderem Maße mit Inflammation verbunden. Schwere eigene Erkrankungen, der Verlust von Arbeitsplatz oder Partner führen zu starken Reaktionen des Immunsystems, das als Reaktion entzündungsfördernde Zytokine in die Blutbahn ausschüttet.
„Zu den stärksten Risikofaktoren für Depressionen gehören die größten Stressfaktoren im Leben, insbesondere solche, die mit zwischenmenschlichem Stress und sozialer Ablehnung einhergehen…Im Mittelpunkt dieser Theorie der sozialen Signaltransduktion bei Depressionen steht die Hypothese, dass Erfahrungen mit sozialen Bedrohungen und Widrigkeiten die an Entzündungen beteiligten Komponenten des Immunsystems hochregulieren. Die wichtigsten Mediatoren dieser Reaktion, sogenannte proinflammatorische Zytokine, können wiederum tiefgreifende Verhaltensänderungen hervorrufen, zu denen die Auslösung depressiver Symptome wie traurige Stimmung, Anhedonie, Müdigkeit, psychomotorische Verzögerung und sozialer Rückzug gehören. Diese hochkonservierte biologische Reaktion auf Widrigkeiten ist in Zeiten tatsächlicher physischer Bedrohung oder Verletzung überlebenswichtig. Diese Reaktion kann jedoch auch durch moderne soziale, symbolische oder eingebildete Bedrohungen aktiviert werden, was zu einem zunehmend proinflammatorischen Phänotyp führt, der ein Schlüsselphänomen für die Pathogenese und das Wiederauftreten von Depressionen sowie für die Überschneidung von Depressionen mit mehreren somatischen Erkrankungen sein kann, einschließlich Asthma, rheumatoide Arthritis, chronische Schmerzen, metabolisches Syndrom, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleibigkeit und Neurodegeneration.“